Ein Poetry Slam: Beine wie Bambi

 

«Du hast ja Beine wie ein Bambi – lang, dünn und haarig.»
Dieser eine Satz
Damals ganz unschuldig, beiläufig, lieb gemeint
Ich sehe meinen Vater noch vor mir – schräg lächelnd.
Sonnenstrahlen, trockener Heugeruch.
Der erste warme Tag.
Ich fünf, er fünfunddreißig.
Ich braune Haare, er erste graue Haare.
Ich schaue ihn stolz an.
Berühre sanft den feinen Flaum an meinen Beinen.
Beine wie ein Bambi.
Ein warmes, glückliches Gefühl breitet sich in mir aus.
Bambi ist ja mein Lieblingstier.

«Du hast ja Augenbrauen wie ein Affe – riesengross, schwarz und buschig.» Dieser eine Satz
Damals ein infantiler Spruch unter Halbwüchsigen
Sitzend im Kreis im Kindergarten
Kichernde Kinder am Kleistern
Der grosse Jean schaut mich schelmisch an
In meinen Händen kalter Klebstoff.
Ein fiebriges, brennendes Gefühl breitet sich in mir aus.
Noch heute dreht sich mein Magen um vom Geruch von feuchtem Pappmaché Augenbrauen wie ein Affe
Dabei mag ich doch Affen.

«Du hast ja ein Schnauz wie ein Mann.» Dieser eine Satz
Damals von der sexy Seline
Als ich dreizehn war
Das Alter von schweissgebadeten Unterarmen und eitergeladenen Pickeln Gedeihenden Brüsten und freudig spriessenden Körperhaaren –
Und spriessendem Unbehagen.
Mein Körper wird saniert –
Bin ich girly-girl genug?
Ein Schnauz wie ein Mann.
Meine glühend roten Ohren.
Dabei mag ich mich selber doch.

Mit fünfzehn, sechzehn, siebzehn Jahren sind sie überall. Diese einen Sätze
Diese erste Pinzette
Dieser erste Rasierer
Diese ersten Wachstreifen
Dieser erste Epilierer
Diese erste Haarentfernungscreme.
Ich finde viele Wörter für mich:
Buschig, borstig, bärtig
Affe, Hairy Canary, Hagrid.
Gorillabrauen, Männerschnautz, Mannsweib.

Beine wie Bambi Baby – Bitte einmal lang und dünn –
Aber minus der Haare.

Diese ersten Tränen
Damals, mit Pickel von eingewachsenen Haaren
Damals, mit Schnittwunden vom schnellen Rasieren
Damals, schreiend, bei meinem ersten Termin im Haarentfernungsstudio
Achtzig Franken für Full-Body-Waxing –
«Be sexy, be free, be hairless» –
Erwecke die Göttin in dir –
Mission makellos –
Die zärtliche Enthaarung –
So fühlt sich Schönheit an.

Beine wie Bambi Baby – Bitte einmal lang und dünn
Aber minus der Haare.

Mit Achtzehn hab’ ich die Haare schön
Feiere die Pickel auf meinem Körper.
Die Rasierspuren. Die Lasernarben.
Gedankt sei dir, oh wunderbare Beauty-Industrie –
Geheiligt sei dein Name –
Dein Wille geschehe –
Erlöse uns von dem Bösen –
Verflucht sei jeder Stoppel.

Beine wie Bambi Baby – Bitte einmal lang und dünn
Aber minus der Haare.

«Du hast ja Haut wie ein Baby»
Dieser eine Satz. Mit vierundzwanzig. Hier und jetzt.
Dieser eine Satz.
Dieser
Eine
Satz.
Endlich sehe ich aus wie ein vorgegebener Männertraum auf Pornhub
Endlich sehe ich so aus, als hätte ich die Pubertät übersprungen.
Mission makellos geglückt. I’m sexy, I’m free, I’m hairless. Haut wie ein Baby. Dieser eine Satz. Dieser eine Satz. Ein verdammter Satz wie dieser
Ich hab die Schnauze voll.

Haare.
Mein Körper.
Haare auf meinem Körper.
Haare wie Blumen auf meinem Körper.
Ich will Sätze wie diese.

Bildschöne, ehrliche, selbstbestimmte Sätze wie:
Mein Körper ist ein neubepflanzter Garten.
Blumensprossen auf meinem Körper spüren.
Soll wachsen was wächst.
Ich hege und pflege ihn.

Haare spüren.
Haare berühren.
Haare wachsen lassen.
Wachsen lassen statt wachsend entfernen –
Lieber Schamhaare statt ganz viel Scham vor Haaren

Ich will entscheiden über ob und wann und wie und wieso.
Be sexy, be free. Be hairless – wenns deine eigene Entscheidung ist.
Sei die verdammte Frida Kahlo, wenn du es sein willst.
Sei die Monobrauen-Königin. Dein Körper ein Palast. Stolz auf deinen Pelzmantel.

Beine wie Bambi Baby – Bitte einfach so, wie sie sind.

Und wenn ich Mal ein Kind habe, dann erzähl ich ihm oder ihr von Bambi.
Und dass Bambi erwachsen geworden ist und viel mehr Haare bekommen hat. Aber auch ein Geweih.
Ganz spitz.
Und damit tritt Bambi seinen Angreifern in den Arsch.

 Analytische Beschreibung

Poetry Slams sind alle Texte, die vor einem Publikum vorgetragen werden und einen lyrischen oder poetischen Anspruch haben. Dabei wird auf den Fluss des gesprochenen Wortes und Reims konzentriert, und dass es eine Geschichte erzählt. «Dass ich meine Körperhaare entferne liegt daran, dass mich die Gesellschaft dazu zwingt und eigentlich macht es mich unglücklich.» Dieses Thema beschäftigt mich seit ein paar Monaten sehr und ich wollte meine Gefühle poetisch in Worte fassen. Ich entschied mich, den Slam aus meiner Perspektive zu schreiben, da ich die Leute zum Nachdenken anregen will und damit sie sich besser mit dem Gesagten identifizieren können.

Mit meinem Poetry Slam erzähle ich meine persönliche Geschichte mit meiner Körperbehaarung. Zu Beginn erzähle ich von meiner Kindheit, wie Haare damals ein normaler Teil des Körpers waren und auch etwas Schönes sein konnten. Dann werde ich älter und von der Welt um mich herum beeinflusst und finde meine Körperbehaarung plötzlich extrem schlimm und haarlose Haut wunderschön. Doch jetzt realisiere ich, dass ich es nur mache, damit ich den gesellschaftlichen Normen entspreche und ich mein Tun noch nie hinterfragt habe.

Ein Problem, das ich häufig beim Schreiben habe, ist die Hemmung – Angst, falsch oder peinlich zu produzieren. Doch als ich begann, mich mit dem Thema meines Poetry Slams, der Körperbehaarung, auseinanderzusetzen, begriff ich, dass ich sehr oft von Hemmungen gesteuert werde. Bei diesem Poetry Slam entschied ich mich also dazu, diese Sorgen wegzulegen und wild herumzuexperimentieren. Dabei mischte sich Fiktion und Autobiographisches.

Ich nutzte verschiedene literarische Stilmittel, die häufig in Poetry Slams angewendet werden: Alliterationen, also die Wiederholung des Anfangslauts von Wörtern, etwa «Kichernde Kinder am Kleistern», «Beine wie Bambi Baby» oder «Buschig, borstig, bärtig». Auch arbeitete ich sehr viel mit Wiederholungen von ganzen Sätzen, etwa «Dieser eine Satz», «Du hast ja ... wie ...» und «Beine wie Bambi» wie auch einfach Wortwiederholungen wie «Körper» und «Haare». Auch mit Anaphern, also die Wiederholung des gleichen Wortes am Beginn von aufeinanderfolgenden Sätzen, etwa «Endlich sehe ich aus wie ein vorgegebener Männertraum auf Pornhub. Endlich sehe ich so aus, als hätte ich die Pubertät übersprungen.»

Ich arbeitete auch mit Anadiplosen, also die betonende Wiederholung des letzten Wortes oder der Wortgruppe eines Satzes/Verses am Beginn des darauffolgenden Satzes/Verses: «Berühre sanft den feinen Flaum an meinen Beinen. Beine wie ein Bambi.

Der Anfang und das Ende gestaltete ich so, dass ich am Schluss wieder die Geschichte vom Anfang des Poetry Slams aufgreife, aber die Geschichte so umdrehe, dass die Leser und Zuhörer realisieren, was ich in all diesen Jahren gelernt habe und ich an anderer Mensch bin.